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14
„Weißt du was - wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, ich bin verflucht.“
Adrian lehnte mit einem Kopfschütteln das Getränk ab, das ihm eine Stewardess anbot, und zog, an mich gewandt, eine Augenbraue hoch, nachdem sie weitergegangen war.
„Weil doch nichts so läuft, wie es geplant war“, beantwortete ich seine unausgesprochene Frage. „Zuerst einmal bist du unerwartet aufgetaucht - na ja, ich bin bereit zuzugeben, dass sich das am Ende doch als besser herausgestellt hat, als ich gedacht hatte.“
Einen Augenblick lang umspielte ein Grinsen seine Lippen, das mein Herz dazu brachte, einen Rückwärtssalto zu vollführen, bevor er damit fortfuhr, die Passagiere an Bord des Flugzeugs, unterwegs nach London, einer genauen Musterung zu unterziehen.
„Aber dann kam dieser Fluch in Köln.“ Als Adrian mir einen warnenden Blick zuwarf, schob ich die Armlehne zwischen uns nach oben und ließ meine Hand auf den harten Muskel seines Oberschenkels wandern. Nicht dass ich dir die Schuld gehe. Natürlich nicht. Du hast deine Rolle perfekt gespielt und ich hin froh zu wissen, dass wir, sollte sich je noch einmal die Notwendigkeit ergehen, jemanden verfluchen zu müssen, dafür bereit sind. So richtig wohl habe ich mich bei der ganzen Sache allerdings nicht gefühlt. Bist du sicher, dass das dritte Auge, das Herrn Baxton gewachsen ist, wieder verschwindet?
Adrians warme Hand legte sich auf meine, fast genauso warm und beruhigend wie seine Stimme in meinem Kopf. Ich bin sicher, dass sowohl das überflüssige Auge wie auch der Schwanz, den dein Fluch ihm hat wachsen lassen, mit der Zeit verschwinden werden. Der Fluch, den du ausgesprochen hast, war nicht sehr stark. Er wird, sich in ein paar Wochen wieder lösen.
Gut. Es wäre mir sehr unangenehm, wenn sich Herr Baxton komplett neu einkleiden müsste, bloß weil mir aus Versehen ein Fluch misslungen ist.
Sein Lachen dröhnte durch meinen Kopf und ich kuschelte mich an ihn. Der Flug an sich verlief ereignislos, trotz eines Sturms, der uns auf dem Weg nach England folgte. Adrian schien nicht in der Stimmung für Konversation zu sein; er richtete seine ganze Aufmerksamkeit darauf, sich zu vergewissern, dass uns niemand gefolgt war. Ich verstand, dass er fürchtete, Sebastian und Christian könnten uns aufspüren, aber ich war nicht allzu sehr beunruhigt.
Einer von Giglis Männern hatte uns zum Flughafen begleitet, und sowohl er als auch Adrian hatten auf der Suche nach Vampiren Augen und Ohren offen gehalten, aber nichts Verdächtiges entdecken können. Keiner der anderen Reisenden hatte uns beachtet, als wir unsere Tickets abgeholt und darauf gewartet hatten, an Bord gehen zu dürfen.
Die Pässe, die Seal uns gegeben hatte, waren wahre Meisterwerke der Fälscherkunst, so perfekt, dass nicht einmal die besonders gewissenhaften Security-Leute am Köln-Bonner Flughafen ihnen mehr als einen flüchtigen Blick gegönnt hatten. Ich muss zugeben, dass ich fast ein bisschen enttäuscht war, dass die hastig zusammengeschusterte Erklärung, wer wir waren und warum wir nach London wollten, nicht zum Einsatz gekommen war. Darin ging es unter anderem um einen Wasserkocher, dessen Stecker wir zu ziehen vergessen hatten, einen Wurf neugeborener Kätzchen und einen unbezahlbaren Picasso, aber die Erkenntnis, dass wir endlich, endlich auf dem Weg waren, hob meine Laune bald wieder.
„Also, was jetzt?“, flüsterte ich Adrian weniger als eine Stunde später zu, als uns eine erschöpfte Stewardess aufforderte, die Tischchen hochzuklappen und die Sitze wieder in eine aufrechte Position zu bringen. Durch die Fenster sahen wir die Lichter der Londoner Vorstädte unter uns leuchten.
„Wir finden Asmodeus und wir finden Saer, stimmt's? Da du ja für ihn arbeitest, wirst du wissen, wo sich Asmodeus aufhält.“
Adrians Augen wurden eiskalt. „Ja, ich weiß, wo er sich aufhält.“
„Gut. Das mag jetzt vielleicht komisch klingen, aber wo genau wohnt ein Dämonenfürst denn eigentlich so, wenn er in London ist?“
Das Flugzeug setzte zur Landung an und federte leicht, als es auf der Landebahn aufsetzte. Wenige Minuten später sprangen alle auf und begannen Gepäckstücke aus den Fächern über den Sitzen zu hieven oder unter den Sitzen hervorzuziehen.
Adrian lehnte sich zu mir herüber, um zu vermeiden, von einer Frau mit einem großen Plüsch-Panda erschlagen zu werden.
„Seit er seine Quelle der Macht verloren hat, ist Asmodeus an eine Statue aus Elfenbein gebunden, die zurzeit im Depot des Britischen Museums aufbewahrt wird.“
Mir blieb der Mund offen stehen. „Er ist was?“
Adrian schloss seine Finger um meine Hand. Du musst still sein, Hasi. Wenn irgendjemand merkt, dass wir in England sind, befinden wir uns beide in größter Gefahr.
Ich schoss von meinem Sitz hoch, sobald Adrian aufgestanden war und sich seinen Rucksack über die Schulter geworfen hatte. Er wartete auf mich und ließ mir den Vortritt.
Ich verließ das Flugzeug im Eiltempo, lächelte der Stewardess noch einmal zu und wartete schließlich draußen, bis Adrian mich eingeholt hatte. „Tut mir leid, ich wollte nicht so laut schreien, aber hast du Britisches Museum gesagt?“
Er brachte mich mit einem Nicken zum Schweigen und lief mit mir zusammen den langen Korridor entlang bis zum Zoll.
Ich packte ihn am Arm. Es gibt einen Dämonenfürsten im Britischen Museum?
Ja.
Fällt das denn niemandem auf?
Er warf mir einen genervten Blick zu. Er ist in eine kleine Statue gebannt, vollkommen machtlos, bis er seinen Ring zurückerhält. Nein, niemandem ist bisher aufgefallen, dass er dort ist.
Oh. Ich zeigte meinen Ausweis vor, plauderte kurz mit der Dame an der Passkontrolle und wartete ab, bis Adrian dieselbe Prozedur hinter sich gebracht hatte und wieder zu mir aufschloss, bevor ich die nächste Frage stellte. „Was für eine Statue denn? Eine von diesen Schäferinnen aus Porzellan mit dem ganzen rosa Schnickschnack und so?“
„Wohl kaum“, erwiderte er trocken, während wir den Schildern zur Bahnstation folgten. „Die Statue besteht aus Elfenbein und stammt aus Toprakkale in Urartu.“
„Urartu“, wiederholte ich nachdenklich, während ich wild in meinem Historiker-Gedächtnis herumkramte.
„Das frühere Rusahinili. Ostanatolien.“ Adrian warf ein paar Münzen in einen Automaten und schnappte sich die beiden Fahrkarten, die dieser ausspuckte.
„Oh, das liegt in der Türkei! Alles klar!“
„Es handelt sich bei der Figur um einen Dämon mit dem Kopf eines Greifs, eine der Statuen, die Teil des Altars sind, der Asmodeus geweiht war. Deshalb wurde er in sie gebannt, nachdem sein Ring abhandengekommen war.“
„Tja. Er steckt also im Britischen Museum fest, völlig machtlos. Und wo ist Saer?“
„Ich vermute, bei seiner Auserwählten“, antwortete Adrian und schob mich auf einen Zug zu, der gerade eingefahren war.
Ich war es langsam leid, mich immer wieder von dem, was er sagte, überraschen zu lassen, also blieb ich nicht stehen, um auf der Stelle eine Erklärung zu verlangen. Nein, ich hielt den Mund, bis wir hinten im letzten Wagen einen Platz gefunden hatten. Dann fragte ich mit beiläufiger Stimme, der nicht das geringste Interesse anzumerken war: „Dein Bruder hat eine Auserwählte?“
„Er hat sie gefunden, aber sie haben das Ritual der Vereinigung noch nicht vollzogen. Wenigstens war das so, als ich zum letzten Mal von Saer hörte.“ Adrian saß unbewegt neben mir, doch seine Augen waren unentwegt in Bewegung und überprüften die Leute, die in den Zug einstiegen.
Die Morgendämmerung stand kurz bevor; eine Tatsache, die mich mehr als Adrian zu beunruhigen schien. Er war vollkommen auf unsere Mitreisenden konzentriert. Die meisten von ihnen waren Pendler, die sich an Pappbecher mit Kaffee klammerten und Zeitung lasen.
Ich legte meine Hand auf Adrians und drückte sie. „Hör mal, Engelchen, ich weiß ja, dass du einen ausgeprägten Beschützerinstinkt hast, aber ich glaube wirklich nicht, dass du dir Sorgen machen musst. Niemand weiß, dass wir in England sind, und, offen gestanden, ich glaube, niemand hier in diesem Zug interessiert sich die Bohne für uns.“
Ganz langsam, wie in Zeitlupentempo, wandte er sich zu mir, um mich mit aufeinander gepressten Lippen anzusehen. „Engel... chen?“
Ich seufzte und hob die Hände zum Zeichen meiner Kapitulation.
„Ich versuche nur, einen Kosenamen für dich zu finden, aber irgendwie scheint nichts zu passen. Hast du auch nur die leiseste Ahnung, wie schwierig es ist, einen Kosenamen für einen Vampir zu finden? Ihr steht anscheinend alle nur auf Namen wie Verräter und Spike und Vlad der Enthaupter, und davon eignet sich kein Einziger als süßer, niedlicher Knuddelname.“
„Ich vermute, du redest von Vlad dem Pfähler, dem Mann, der später als Dracula berühmt wurde.“
„Kann schon sein“, sagte ich. „Mein Problem ist, dass Schatz einfach zu langweilig ist, und Liebling gefällt mir persönlich überhaupt nicht, und Süßer passt nun wirklich nicht zu dir. Dann bleiben nur noch Zuckerschnütchen, Engelchen und Liebster.“
„Dann nehme ich Liebster“, erwiderte er, wobei er sich bemühte, streng und unnachgiebig dreinzuschauen, eben so wie ein Mann, der seit Jahrhunderten als der Verräter bekannt und gefürchtet ist, aber ich sah doch, wie es um seine Mundwinkel zuckte.
„Weißt du was - je öfter du lächelst, umso leichter fällt es dir“, neckte ich ihn, beugte mich zu ihm hinüber und küsste ihn auf die hochgezogenen Mundwinkel.
„In meinem Leben gab es bisher nicht viel, über das es sich zu lächeln gelohnt hätte“, gab er zu. Seine Augen färbten sich dunkel vor Verlangen. Aus Rücksicht auf die Fahrgäste um uns herum verlegte ich meine Küsse in ein sicheres Gebiet: seine stoppeligen Wangen.
„Ich weiß, aber das wird sich demnächst ändern. Jetzt hast du ja mich und alle meine Freunde werden sagen, ich sei total verrückt. Ich bin also genau die Richtige für dich.“
Einen Augenblick lang wirkte er, als wolle er widersprechen, aber dann schien er es sich doch anders zu überlegen. Ich lehnte mich an ihn, froh und glücklich, einfach nur bei ihm zu sein.
Ihn warm und stark an meiner Seite zu spüren schenkte mir ein Gefühl der Erfüllung und der Zugehörigkeit, von dem ich gar nicht gewusst hatte, dass es in meinem Leben gefehlt hatte.
Dann war Vlad also einer von euch ?
Ein Dunkler? Nein.
Was war er dann? Und warum dachte Bram Stoker, er wäre ein Vampir?
Dracula war ein Strigoi, ein Mitglied eines nicht sehr weit verbreiteten Blutclans. Strigoi nehmen freiwillig Nahrung in Form von Blut zu sich.
Im Gegensatz zu euch - ihr müsst Blut trinken.
Adrians Daumen strich zärtlich über meine Wange und mein Herz schmolz wieder einmal dahin. Dunkle können kein Blut produzieren. Wir müssen es aus anderen Quellen aufnehmen, aber wir verdauen es nicht. Das Blut, das ich von dir empfange, vereinigt sich mit meinem eigenen und erhält mich so am Leben.
Ein sachtes erotisches Schaudern lief mir den Rücken hinunter, aber ob das nun an der sanften Berührung durch seinen Geist lag oder an der Erinnerung daran, wie aufregend ich es fand, ihn mein Blut trinken zu lassen, das wusste ich nicht. Was ich wusste, war, dass ich auf der Stelle aufhören musste, daran zu denken, denn sonst würden die frühmorgendlichen Pendler im Zug gleich die Show ihres Lebens geboten bekommen. „Erzähl mir mehr von deinem Bruder.“
Eine interessante Mischung aus Bedauern, Schmerz und etwas, das sehr nach Verlegenheit aussah, huschte über sein Gesicht, bevor er den Kopf wandte und aus dem Fenster sah.
„Saer war schon immer fest entschlossen, große Macht auszuüben. Ich habe getan, was ich konnte, um die Macht, nach der er strebt, von ihm fernzuhalten, aber ich fürchte, ich bin am Ende meiner Kräfte.“
Ich sah ihn einen Augenblick verwirrt an. Er presste die Zähne hart aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten, so als erwarte er, dass diese neue Facette seines Charakters ihn wieder einmal in einem schlechten Licht dastehen lasse. Doch das brauchte er nicht - ich hatte in sein Herz gesehen und wusste, dass er kein rachsüchtiger Mensch war.
„Du hast schlimme Dinge in deinem Leben getan, Adrian“, sagte ich leise, gerade laut genug für seine Ohren. Sein Körper verkrampfte sich, als er sich daraufhin langsam umdrehte und mich ansah. Ich lächelte und ließ ihn die Liebe in meinen Augen sehen. „Aber du bist nicht dafür verantwortlich. Du hast nicht darum gebeten, von einem Dämonenfürst verflucht zu werden. Du empfindest kein Vergnügen bei den Taten, zu denen er dich in seinem Namen gezwungen hat. Du bist kein schlechter Mann, darum weiß ich, dass du einen guten Grund dafür gehabt haben musst, die Pläne deines Bruders zu vereiteln.“
Er starrte mich einen Moment lang ungläubig an - in seinem Blick las ich großes Erstaunen; doch gleich darauf verdüsterte er sich wieder.
„Du bist der einzige Mensch, der jemals an mich geglaubt hat. Du bist die Einzige, die mich nicht fürchtet. Ich schwöre bei allen Heiligen, wenn ich den unvermeidlichen Ausgang dessen, was geschehen muss, ändern könnte, dann würde ich es tun. Ich würde die Seele, die du für mich schon so gut wie zurückgewonnen hast, dafür geben, die Zukunft zu ändern, aber das soll nicht sein.“
Ich beugte mich vor, um ihn zu küssen, entschied mich dann aber anders und fuhr stattdessen mit meiner Zunge über seine Nasenspitze. Er wirkte durch diese Geste verwirrt, genau wie ich beabsichtigt hatte.
„Weißt du, ich habe noch nie an so etwas wie Schicksal geglaubt. Ich war immer der Meinung, dass das Leben das ist, was man daraus macht, und da ich fest entschlossen bin, den Rest meines Lebens zusammen mit dir zu verbringen, würde ich es begrüßen, wenn du endlich mal mit diesem ewigen Gefasel von wegen Verhängnis und ,Ich bin der Verräter, ich muss zugrunde gehen' aufhören könntest und endlich darüber nachzudenken anfängst, wie du deinen Bruder besiegen kannst. Ich werde dich nämlich auf gar keinen Fall aufgeben, uns nicht aufgeben. Also, lass uns über Saer und seine Schwachpunkte reden. Ich hab kapiert, dass er nach Macht strebt, und davon hat er weiß Gott mehr als genug mit Asmodeus' Ring, aber was hat seine Auserwählte damit zu tun? Und warum will er sich nicht mit ihr vereinen, wenn er dadurch doch seine Seele zurückbekommen würde?“
Adrian stieß ein langes, nicht ganz glaubwürdiges Seufzen aus, über das ich lächeln musste. Ich wusste, wie sehr er sich darum bemühte, sein BadBoy-Image aufrechtzuerhalten, aber ich wusste auch, dass seine Tage als Verräter vorbei waren. Es wurde Zeit, dass er begriff, dass man ihm ein schlechtes Blatt gegeben hatte, jetzt aber die Karten neu gemischt worden waren. Und ich teilte aus. „Wenn ein Dunkler das Vereinigungsritual mit seiner Auserwählten vollzieht, bedeutet das, dass sein Leben an das ihre gebunden ist. Ihre Seelen sind ineinander verschlungen und können nicht wieder getrennt werden.“
Ich ignorierte den vielsagenden Blick, den er mir zuwarf, und nickte.
„Dementsprechend würde jede seiner Entscheidungen auch sie betreffen und umgekehrt. Die Art von Macht, die Saer anstrebt, würde erfordern, dass er nicht nur seine eigene Seele verwirkt, sondern auch die seiner Auserwählten.“
„Und zu diesem Schicksal möchte er eine unschuldige Frau nicht verdammen.“ Ich nickte wieder.
Adrian schüttelte den Kopf. „Ich wünschte, ich könnte glauben, dass Saer seine Auserwählte, auch wenn sie das Vereinigungsritual noch nicht vollzogen haben, nicht opfern wird, aber die Wahrheit ist die, dass nur sie die Entscheidung treffen kann, sich einem Dämonenfürst zu unterwerfen. Saer vermag sie nicht dazu zu zwingen.“
„Oh.“ Ich dachte ein paar Minuten über das Gehörte nach, während der Zug an einem Bahnhof hielt, ein paar Leute ausstiegen und ein paar mehr einstiegen. Adrian musterte jeden Einzelnen gründlich und entspannte sich erst wieder, als alle einen Sitzplatz eingenommen hatten.
„Dann hat er sich also deshalb nicht mit ihr vereint, weil sie sich dem Dämonenfürst nicht unterwerfen würde, Saer aber ebendies tun muss, um die Macht zu erlangen, die er haben will. Verstehe. Aber warum hat er sich ausgerechnet jetzt aufgemacht, sie zu treffen?“
„Er hat den Ring“, erwiderte Adrian grimmig. Er starrte aus dem Fenster. Die Sonne ließ sich noch nicht blicken; es schien ein typisch englischer Regentag zu werden, aber das Grau vor den Zugfenstern wurde schon deutlich heller. „Er wird das Vereinigungsritual mit Belinda vollziehen und dann den Ring benutzen, um sie gefügig zu machen, sodass sie seinen Plänen nicht länger im Weg steht. Das ist der einzige Weg.“
Meine Zuversicht schwand. Nicht nur, dass es mir bislang nicht gelungen war, Adrians Neffen zu retten, jetzt hatte ich mit meiner kolossalen Blödheit auch noch eine unschuldige Frau dazu verurteilt, bis in alle Ewigkeit Sklavin eines Dämonenfürsten zu sein.
„Mist!“
„Ganz genau“, sagte er zustimmend. Er blickte auf die Schilder, die das Nahen des nächsten Bahnhofs ankündigten. „Hier steigen wir aus. Ich kann nicht riskieren, mich dem vollen Tageslicht auszusetzen.“
„Kennst du eigentlich Saers Auserwählte?“, erkundigte ich mich, mehr um mich selbst von meinen tiefen Schuldgefühlen abzulenken, als dass es mich tatsächlich interessierte. Ich folgte Adrian aus dem Zug durch einen kleinen Vorstadtbahnhof.
Er warf mir einen seltsamen Blick zu, während er den Kragen seines Mantels hochschlug.
„Du hast von einer Belinda gesprochen“, erklärte ich. „Ich hab mich nur gefragt, ob das heißt, dass du sie kennst.“
„Ja, ich kenne sie. Sie ist... Sie war... Ich habe mich mit ihr gepaart. Würdest du bitte mal fragen, ob dieses Taxi frei ist? Wenn ja, dann werde ich dazukommen und wir werden zu Belindas Pub fahren. Wenn wir uns beeilen, wird mir das Licht nichts anhaben können.“
Ich packte ihn am Arm und schubste ihn in eine Ecke des Warteraums, außer Hörweite der wenigen Menschen, die das Bahnhofsgebäude betraten oder verließen. „Du hast dich mit ihr gepaart?“
Er runzelte erwartungsgemäß die Stirn, aber in diesem Augenblick waren mir seine Gefühle schnuppe. „Ja. Hast du denn geglaubt, ich sei noch Jungfrau gewesen?“
„Nein, natürlich nicht, aber mit so etwas platzt man nicht einfach so heraus. Und vor allem benutzt man nicht das Wort gepaart. Das klingt so... so... animalisch.“
„Es war animalisch“, erwiderte er, immer noch mit gerunzelter Stirn. „Zuerst dachte ich, sie sei meine Auserwählte, aber sobald ich den Akt mit ihr vollzogen hatte“ - ich knirschte mit den Zähnen und wollte ihm am liebsten wegen seiner rücksichtslosen Art, vor mir mit seiner Exgeliebten zu protzen, die Meinung geigen, hielt mich aber mit Mühe zurück - „wurde mir klar, dass sie es nicht war. Wir hatten ein paar Monate lang Sex miteinander. Das war alles.“
„Neue Regel“, verkündete ich und ließ seinen Arm los, um ihm mit erhobenem Finger drohend vor dem Gesicht herumzufuchteln. „Über ehemalige Geliebte wird niemals ohne Vorwarnung gesprochen. Der Begriff sich paaren wird auf gar keinen Fall in einem Satz verwendet, in dem besagte Geliebte erwähnt wird. Und auf gar keinen Fall, unter gar keinen Umständen wird in liebevollen Erinnerungen daran geschwelgt, wie viel Spaß ihr zusammen im Bett hattet!“
„Du reagierst übertrieben“, sagte Adrian. „Du warst auch keine Jungfrau, und dennoch habe ich nicht verlangt, alles über die beiden Männer zu erfahren, mit denen du zusammen warst, bevor du dich mir hingegeben hast.“
„Woher weißt du, dass es nur zwei Männer waren?“, fragte ich, kurzfristig von meiner Strafpredigt abgelenkt.
Seine Augenbraue fuhr in die Höhe.
„Verdammt! Du hast in meinem Gehirn herumgeschnüffelt! Du hattest nicht die Erlaubnis, in die Akte mit meinen Exfreunden zu gucken!“ Ich holte tief Luft und rief mir ins Gedächtnis zurück, dass es im Moment eigentlich um etwas ganz anderes ging. Es gab augenblicklich Wichtigeres, als ihm wegen seiner unglücklichen Wortwahl zuzusetzen. „Na gut. Deine Exfreundinnen gehen mich genauso wenig an wie dich meine früheren Partnerschaften, aber ich würde es begrüßen, wenn wir auf jegliche Erwähnung von Sex im Zusammenhang mit Belinda verzichten könnten.“
Adrian wies mit dem Kopf zur Tür.
„Schön. Ich werde mal nachsehen, ob ich ein freies Taxi finde. Aber kein Gerede mehr über Sex mit Belinda! Ich meine es ernst, Adrian! Irgendwann ist auch meine Grenze erreicht. Mehr ertrage ich nicht!“
„Du bist eifersüchtig.“ Seine Stimme klang hochzufrieden.
„Darauf kannst du deine Schuhe verwetten, dass ich eifersüchtig bin! Und das gefällt mir gar nicht, also hör auf, so selbstgefällig zu gucken!“
Drei Minuten später fuhren wir durch die Straßen von High Wycombe. Es hatte geregnet, aber es sah so aus, als ob sich die Wolken verziehen und die Sonne zum Vorschein kommen würde. Adrian hatte einen weichen Filzhut aus seiner Tasche gezogen; dieser sollte ihn, zusammen mit dem hochgeschlagenen Mantelkragen, gegen unerwünschte Auswirkungen des Tageslichts schützen.
Seine Hand glitt über meinen Arm, bis seine Finger auf die bloße Haut meines Handgelenks trafen. Warum starrst du mich so an, Hasi?
Ich guck nur, ob ich vielleicht Rauch sehe, antwortete ich und warf einen beunruhigten Blick aus dem Fenster. Gleich bricht endgültig der Tag an. Ich will nicht, dass du anfängst zu brennen.
Seine Dankbarkeit umhüllte mich wie eine weiche Decke.
Um mich hat sich noch nie jemand Sorgen gemacht. Es hat nie jemanden gekümmert, ob ich leide, aber ich möchte nicht, dass du dir unnötig Gedanken machst, Hasi. Obwohl ich nicht umhinkann, zu wünschen, du hättest es nicht getan, so hat unsere Vereinigung mir doch zu einer gewissen Toleranz gegenüber schwachem Sonnenlicht verholfen. Solange ich mich verhülle und keiner direkten Sonneneinstrahlung aussetze, werde ich nicht zu Schaden kommen.
„Gut“, sagte ich. Er zog seine Hand wieder von meinem Handgelenk weg. Dann beantwortete er die Frage des Taxifahrers, der wissen wollte, zu welchem Pub wir zu fahren wünschten. Seinen Hinweis, die Gaststätte werde zu dieser Uhrzeit sicherlich geschlossen sein, nahm er nicht zur Kenntnis.
Meine Neugierde übermannte mich.
„Also... ahm... diese Belinda. Du hast gesagt, dass du ein Weilchen dachtest, sie wäre...“, ich blickte in den Rückspiegel des Fahrers, „die Richtige für dich, aber das war sie nicht, sie war für Saer bestimmt. Weiß er, dass du und sie eine Zeit lang intim miteinander wart?“
„Ja.“ Seine Stimme und sein Gesicht waren düster. „Wir standen einander nie nahe, aber meine Affäre mit Belinda rief bei ihm einen derartig heftigen Tobsuchtsanfall hervor, dass er schwor, er werde sich an mir rächen. Seit zehn Jahren tut er alles in seiner Macht Stehende, um mich zu zerstören, wobei er den wahren Grund, warum er mir den Tod wünscht, hinter der Tatsache verbirgt, dass ich der Verräter bin.“
„Was für ein dreckiger Mistkerl!“, knurrte ich. In Gedanken ging ich ein paar besonders reizvolle Flüche aus meinem Zauberbuch durch. „Gib mir nur fünf Minuten allein mit ihm, dem werd ich's ihm schon zeigen!“
Adrian verzichtete darauf, mich auf das Offensichtliche zu verweisen: Solange Saer den Ring besaß, konnte keiner von uns ihm ernsthaft Schaden zufügen. „Ich muss zugeben, dass ich damals davon überzeugt war, er würde wegen der Geschichte mit Belinda zu heftig reagieren, aber jetzt... „ Er strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Jetzt verstehe ich die Gefühle, die in ihm getobt haben müssen, als er mich mit seiner Auserwählten antraf.“
„Moment, Moment“, sagte ich leise, wobei ich den Stich der Eifersucht ignorierte, den ich jedes Mal verspürte, wenn ich an Adrian mit einer anderen Frau dachte, „du hast doch gesagt, dass ihr beiden einander nie sehr nahe gestanden habt. Ich weiß ja, du bist der VERRÄTER, aber Saer ist dein Zwillingsbruder! Wie konntest du ihm nicht nahe stehen?“
Adrians Augenfarbe wandelte sich zu einem kalten Türkis, wie die Farbe des Teils eines Eisbergs, der unter Wasser liegt. „Ich war noch nicht einmal zwei Jahre alt, als ich in Asmodeus' Dienst gestellt wurde. Mein Vater hat mich verschachert für die Macht, Frauen zu verführen.“
Ich starrte ihn voller Entsetzen an. Mein Mund stand ein paar Sekunden lang weit offen, während mein Gehirn versuchte, das Unfassbare zu verarbeiten.
„Dein Vater hat dich einem Dämonenfürst überlassen? Als du praktisch noch ein Baby warst? Auf diese Weise ist der Fluch über dich gekommen?“
Er brachte mich zum Schweigen, indem er mir einen Finger auf den Mund legte.
Dein eigener Vater, der Mann, der dich gezeugt hat, dieser Mann hat dich einem Dämonenfürst überlassen? Er sagte einfach: „Hier, nimm mein Baby und gib mir dafür die Macht, jede Frau ins Bett zu kriegen“? Das hat dein Vater getan?
Das ist schon sehr lange her, Hasi. Ich weiß zu schätzen, welchen Arger und welche Wut du meinetwegen verspürst, aber ich versichere dir, dass ich mein Schicksal schon seit Langem akzeptierte habe.
Ach ja? Ich aber nicht! Ich warf mich auf ihn und nahm sein Gesicht zwischen meine Hände, während ich tief in sein Innerstes blickte und um das trauerte, was ihm genommen worden war. Du bist nicht der Verräter, Adrian, du bist der Verratene. Ist dein Vater noch am Leben?
Ein Lächeln umspielte seine Lippen, während er meine Hände nahm und die Handflächen küsste. „Nein. Er hat seinem Leben schon vor vielen Jahren ein Ende gesetzt, als er der Oberflächlichkeit seiner Existenz überdrüssig wurde.“
So unmöglich es auch schien, diese Worte machten mich noch wütender. „Erst hat er dich wegen Sex verkauft und dann bringt er sich um, als er es leid war?“
„Ich bezweifle, dass es so einfach war.“
„Was ist mit Saer? Hat dein Vater ihn auch fortgegeben?“
„Nein.“ Adrian konnte mir nicht in die Augen sehen, aber ich musste ihn nicht berühren, um den Schmerz zu fühlen, der ihn durchzuckte. „Saer ist der älteste Sohn. Ich war für meinen Vater entbehrlich.“
„Wie der Vater, so der Sohn“, murmelte ich vor mich hin, aber Adrian hörte es. „Saer ist wirklich ganz der Vater.“
„Wir sind da“, rief der Taxifahrer. Er hielt vor einem alten Haus, das zur Hälfte mit falschem Fachwerk bedeckt war; ein Schild neben der Tür zeigte einen Geistlichen in vollem Ornat, der sein Hinterteil darbot, während er über seine Schulter hinweg ein keckes Frauenzimmer ansah, das eine Peitsche in der Hand hielt.
„The Flogged Bishop. Das macht dann sechs Pfund zehn.“
Ich schaute mir das Schild genau an, während Adrian dem Fahrer Geld gab, und folgte ihm dann langsam, als er durch eine schmale Seitentür ohne Aufschrift den Pub betrat. „Ich hab nur eine Frage: Das ist ein richtiger Pub, oder? Das ist doch nicht wieder ein ähnliches Etablissement wie das von Gigli?“
Seine Grübchen vertieften sich, als ein Grinsen über sein Gesicht huschte. Dann klopfte er an eine Tür, zu der ein paar Stufen hinaufführten. „Du hattest nichts gegen meine Bekanntschaft mit Gigli, warum solltest du also etwas dagegen einzuwenden haben, wenn Belinda ebenfalls ein Bordell führt?“
„Weil Gigli sagte, dass die einzigen Nichtsterblichen, die zu ihr als Kunden kommen, Poltergeister sind, was heißt, dass ich mir keine Sorgen machen musste, ob du dich dort vielleicht ebenfalls vergnügt hast. Das hier“, ich deutete auf die kahle Wand, die uns noch von dem Pub trennte, „ist eine völlig andere Situation.“
Die Tür öffnete sich, bevor er Zeit zu antworten hatte. Die Frau, die im Türrahmen stand, war offenbar eben erst aufgestanden. Ich beäugte sie eingehend, diese Frau, von der Adrian einmal kurze Zeit geglaubt hatte, dass sie seine Rettung sein würde. Sie war hübsch, viel hübscher, als ich es von einer Pubbesitzerin erwartet hatte, ein paar Zentimeter kleiner als ich, mit kurzem, lockigem Haar und sanften braunen Augen.
„Adrian!“ Sie war sichtlich überrascht. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich jedoch rasch und es malte sich eine Mischung von Hoffnung und Furcht darauf ab.
„Hast du irgendetwas gehört? Habt ihr Damian gefunden? Saer sagte, ein Dämonenfürst habe ihn in seiner Gewalt. Ist das wahr? Ist er für immer verloren?“
„Damian?“, fragte ich, überrascht, dass sie sich zuallererst nach dem Jungen erkundigte, doch dann erinnerte ich mich, dass dessen Schicksal ihr, da sie Saers Auserwählte war, zweifellos am Herzen lag.
„Belinda ist Damians Mutter“, erklärte Adrian, bevor er sich wieder der Frau zuwandte. „Ist Saer hier?“
„Nein“, erwiderte sie. Sie trat zurück und hieß uns mit einer Geste durch die Tür in eine kleine Wohnung über dem Pub eintreten.
Adrians spürbare Nervosität ließ bei ihren Worten ein wenig nach. Innerlich stieß auch ich einen dankbaren Seufzer aus.
„Gott sei Dank ist er nicht hier gewesen. Wir hatten uns furchtbare Sorgen gemacht, dass er das Vereinigungsritual mit dir vollzogen haben könnte.“
Die Tür schloss sich mit einem leisen Klicken, als sie sich zu uns umdrehte. „Es tut mir leid, aber ihr habt das missverstanden. Saer ist im Augenblick nicht hier, aber er war hier und wir haben das Ritual vollzogen. Saer hat darauf bestanden, dass wir letzte Nacht den letzten Schritt des Rituals vollziehen, bevor er fortging, um seine Armee zu sammeln.“
„Armee?“, fragte ich mit schwacher Stimme. Ich tastete blindlings hinter mir nach einem Stuhl. Meine Beine drohten mir ihre Dienste aufzukündigen, als mir die Bedeutung von Saers Handeln klar wurde.
„Ja.“ Sie nickte und eilte an uns vorbei in eine winzige Küche. „Er ist fortgegangen, um eine Armee zusammenzurufen, die seinen Feind besiegen und Damian retten wird. Er ist sehr zuversichtlich, dass jetzt niemand mehr seiner Macht widerstehen kann. Er besitzt nämlich einen ganz besonderen Ring, versteht ihr, und damit ist er offensichtlich unbesiegbar. Er hat mir erzählt, dass niemand, nicht einmal der Dämonenfürst selbst, ihn jetzt noch aufhalten kann.“ Sie verstummte, blickte von Adrians bewegungsloser Gestalt zu mir. Ein fröhliches Lächeln ließ ihr Gesicht aufleuchten, als hätte sie nicht soeben das Todesurteil über jeden von uns gesprochen.
„Wollt ihr Tee oder Kaffee?“